wenn ich dich befreien soll!
Dante Buu
aus Montenegro, geboren in Rožaje, Künstler, Geschichtenerzähler und Performer, kam im Februar 2021 als MRI-Stipendiat zur Gastorganisation Künstlerhaus Bethanien.
Er küsst Frauen für die Kunst und Männer aus Liebe. Und umgekehrt. Manchen reicht das schon, um Eistüten oder Münzen nach ihm zu werfen. Andere lachen und flirten ihn an, schicken ihm Küsse, schenken ihm Liebe. Liebe und Widerstand. Das ist die Grundhaltung, mit der Dante Buu Kunst und Leben angeht. „Man sollte Grausamkeit mit geradem Rücken entgegentreten, für etwas einstehen, nicht einfach nur dagegen sein. Ich glaube, mit Liebe und Widerstand zusammen kann man die Dinge ändern, langfristig“, sagt er.
Foto: Jana AnđićTodesdrohungen und enge Grenzen
Seit Februar 2021 lebt und arbeitet Dante Buu als Stipendiat der Martin Roth-Initiative in Berlin. In seiner Heimat Montenegro ist ihm das nicht wirklich möglich. Er ist der erste und bislang einzige muslimische Künstler vom Balkan, der sich zu seiner Homosexualität bekennt. Er hat Todesdrohungen bekommen, seine Arbeit wurde eingeschränkt und beschnitten – sofern ihn überhaupt jemand ausstellt. Die sehr traditionell geprägte Gesellschaft in Montenegro hat weder Geld noch Bühne für jemanden wie ihn, ja nicht einmal Raum für ein freies Leben.
Foto: Mit freundlicher Genehmigung des KünstlersEin Drama – für die anderen
„Ich wurde schon als Kind viel gequält und drangsaliert, weil ich ein sehr weiches, 'mädchenhaftes' Kind war, ich habe Barbie-Puppen geliebt und Röcke“, berichtet Buu. „Ich wurde von den Kindern gemobbt, aber auch von den Eltern, die ihren Kindern verboten, mit mir zu spielen, weil ich ,wie ein Mädchen‘ war.“ Seine Rettung war seine liebevolle Familie, die bis heute zu ihm hält.
Als er mit 14 seinen Eltern bange gestand, dass er schwul ist, sagten die: „Das ist völlig okay“, und weiter ging es, berichtet Buu. „Ich dachte, das wird ein großes Drama, aber nein. Dafür machen andere ein Drama daraus. Es ist traurig: Du willst einfach dein Leben leben und musst dich stattdessen ständig mit Diskriminierung und Schikanen beschäftigen.“
Aus einer Position der Stärke
Sein Weg, sich damit zu beschäftigen, ist seine Kunst. Liebe und Widerstand, Intimität und die unerzählten Geschichten ganz normaler Menschen sind Dante Buus Themen – dargestellt an ihm selbst und seiner eigenen Geschichte. Er setzt sich Performances aus, stundenlang, teils über Wochen hinweg, und verknüpft diese mit Fotos oder Videos, in denen er sich in Szene setzt, oder mit großen Stickarbeiten, an denen er manchmal Jahre arbeitet.
„Es geht um die Erfahrungen, die wir machen, und es geht um Selbstermächtigung“, sagt Dante Buu. „Menschen können mich anfeinden, mich bedrohen, mich drangsalieren, aber meine Kunst entsteht aus einer Position der Stärke. Ich verstecke mich nicht.“
Liebe und Hass halten sich die Waage
In Berlin zeigte er im Frühjahr 2021 die Performance „and you—do you die happy?“ Acht Tage lang stand er Tag für Tag vier Stunden regungslos im Schaufenster Künstlerhaus Bethanien, im schwarzen Anzug, ein altmodisches Wählscheibentelefon in der Hand, Mascara-Tränen ins Gesicht geschminkt, während in einem zweiten Fenster sein Video „Weekend Lovers II“ lief – ein Film, in dem Buu leidenschaftlich eine Frau und immer wieder andere Männer küsst.
„Ich weiß nicht, was die Leute so provoziert hat, aber es gab viele aggressive Reaktionen. Menschen haben von der Straße alles Mögliche gegen das Fenster geworfen, oder ihr Fahrrad dagegen gehämmert, einige haben mir Pornos auf dem Handy entgegengehalten, andere Münzen nach mir geworfen“, erzählt Buu. „Andererseits haben aber auch Leute, die vorbeikamen, das Fenster geküsst oder Herzen darauf gemalt. Ein Mädchen rief mir zu: ‚Zwinker zweimal, wenn ich dich befreien soll!‘ Ich musste so lachen. Wenn man so will, hat diese Liebe aus dem Publikum die Aggressionen wettgemacht.“
„I am so nice to you & you are so mean to me“
Im Sommer 2021 folgte die nächste Performance im Künstlerhaus Bethanien: „I am so nice to you & you are so mean to me“, bei der er 27 Tage lang jeweils fünf Stunden auf einem Kreuz stand – nicht als religiöser Kommentar, wie Buu betont, sondern gemeint als Sinnbild von Einsamkeit und des Leidens unter den gesellschaftlichen Ansprüchen, die wir uns auch individuell oft aufzwingen. Gekoppelt war die Performance mit einer Ausstellung („thigh high“) im selben Gebäude, in der Buu erstmals seine Stickarbeiten präsentierte. In Videos hatte er sie schon vorher als Teil von Performances gezeigt, niemals jedoch die Stücke selbst. „Mir fällt es schwer, sie zu zeigen, weil meine Stickereien sehr intim sind“, sagt er. „Ich verbringe so viel Zeit mit ihnen, ich gehe durch so viele Phasen mit ihnen. Wenn ich sie zeige, fühle ich mich geradezu nackt.“
Geschichten im seidenen Faden
Die Stickarbeit „A Portrait of My Parents / Summer“ (Fifth Season) zum Beispiel ist einen Meter fünfzig mal zwei Meter groß, ausgefüllt mit schwarzem Seidenfaden. Vier Jahre habe er dafür gebraucht. Andere Werke sind bunt, aber alle haben eine persönliche Geschichte oder Frage als Auslöser. „Ich habe einen großen Korb voller Stickfäden, ich wähle intuitiv eine Farbe und sticke so, wie ich mich gerade fühle, bis der Faden verarbeitet ist.“
Für Dante Buu steckt in diesen Arbeiten alles: seine eigenen Erfahrungen, die Geschichte seiner Mutter, Tanten, der Großmutter und die seiner Heimat – denn Sticken hat in Montenegro eine lange bedeutungsvolle Tradition. Natürlich vor allem auf Frauenseite.
„Geht es auch mal ohne Agenda?“
„Für meine Vermarktung als Künstler wäre es vermutlich besser, wenn ich mich auf ein Genre festlegen würde“, sagt Dante Buu. „Aber ich will machen, was ich will, und das ist immer ein Problem. Dann heißt es: Oh, er passt nicht in diese Agenda, und nicht in jene Agenda. Und ich denke: Geht es nicht mal ohne Agenda? Ich habe so lange in Grenzen gelebt, ich will frei sein.“
Foto: Bastian HopfgartenDas Künstlerhaus Bethanien ist ein internationales Kulturzentrum in Berlin. Als Atelierhaus und Arbeitsstätte für professionelle Künstler*innen, vielschichtig strukturierte Projektwerkstatt und Veranstaltungsort hat es sich die Förderung der zeitgenössischen bildenden Kunst zum Ziel gesetzt. Schwerpunkt ist das Internationale Atelierprogramm, in dem Jahr für Jahr Künstler*innen aus der ganzen Welt Projekte ausarbeiten und präsentieren.
Text: Marion Meyer-Radtke; Redaktion: MRI
Fotos und Videoaufnahmen in Video/Audioslideshow: Rolf Schulten; außer letztes Foto in Video/Audioslideshow: Foto von Bastian Hopfgarten
Gestaltung Video/Audioslideshow: Johanna Barnbeck
Fotos in Galerie: Rolf Schulten