Eythar Gubara
aus dem Sudan, geboren 1988 in Khartum, Fotografin, Aktivistin, Filmemacherin, kam im Februar 2020 als MRI-Stipendiatin zur Gastorganisation Gängeviertel e.V. nach Hamburg.
Elf Juror*innen, eine Meinung: Bei der Verleihung des 5. Prix de la Photo Madame Figaro im Juli 2021 war die Preisträgerin schnell gefunden. Eythar Gubara. Einstimmig habe die Jury „eine junge Fotografin gewählt, die aus einem Land kommt, das für Fotografien von Frauen keinen großen Platz bereit hält: dem Sudan“.
Faszinierende Bilder zu einem harten Thema
Überzeugt hat Gubara aber nicht nur als Aktivistin, die sich für Menschenrechte einsetzt und für die Rechte lesbischer Frauen und der LGBTQ+-Community in ihrem Land. Mindestens so sehr begeisterte sie das Gremium durch ihre künstlerische Arbeit: „Ihre faszinierenden Bilder – Dämmerlicht in Schwarz-Weiß oder Farbe – zeigen Gesichter oder Silhouetten von Frauen, die geheimnisvoll sind und stark. An ihnen erzählt sie die Geschichte der patriarchalischen Gesellschaft im Sudan und deren Kontrolle über den weiblichen Körper und seiner Bekleidung“.
Dass sie einmal so gefeiert und so leben würde – als Künstlerin auf internationalem Parkett und als bekennende lesbische Aktivistin –, hätte Eythar Gubara noch vor zehn Jahren selbst nicht gedacht. Als jüngstes Kind und einzige Tochter einer Akademikerfamilie wuchs sie mit zwei älteren Brüdern in Atbara auf, einer Verwaltungsstadt rund 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt Khartum. Nach der Schule schlug sie einen eher traditionellen Weg ein. Sie studierte Informatik, arbeitete als Verkaufsleiterin und heiratete. „Dabei war ich damals schon lesbisch, aber das habe ich vor mir selbst verleugnet“, sagt sie.
Es ging nicht gut. Sie erlebte Gewalt in der Ehe und begriff: Hier musste sie raus. Es war der erste von drei großen Brüchen in Eythar Gubaras Leben: die hart erfochtene Scheidung 2014. Dann die Revolution im Sudan, die sie als Aktivistin mit vorantrieb und die im Juni 2019 die jahrzehntelange Diktatur von Omar al-Bashir beendet. Und dann der Januar 2020, als sie ihr Land verließ, weil sie dort trotz des Umsturzes als Homosexuelle nach wie vor verfolgt wird, und als Stipendiatin der Martin Roth-Initiative nach Deutschland zog.
Drei Wendungen, die sie selbst mit herbeiführte, weil sie weiterleben wollte und dafür zu sich selbst stehen musste. Im Sudan allerdings ist ihr das bis heute nicht möglich. Frauen haben zwar seit dem Sturz von Bashir deutlich mehr Rechte: So ist die Genitalverstümmelung inzwischen verboten, das Auspeitschen wegen Tragens „unangemessener Kleidung“ (zum Beispiel Hosen) auch, und auch die Todesstrafe für Homosexualität wurde abgeschafft.
Lebenslang, weil man die Falschen liebt
Aber die gleichgeschlechtliche Liebe gilt weiter als Verbrechen und wird hart bestraft – mit Schlägen und Gefängnis zwischen fünf Jahren und Lebenslang. Und das sei ohnehin nur die gesetzliche Seite, sagt Eythar Gubara: „In der Gesellschaft werden wir für jede Katastrophe verantwortlich gemacht. Sie geben uns die Schuld, wenn es eine Überflutung gibt, wir sind schuld, wenn die Preise steigen – weil wir angeblich Gott verärgern.“ Und auch wenn die Todesstrafe offiziell abgeschafft sei, würden Schwule und Lesben häufig doch getötet: bei Angriffen, weil ihnen Ärzte die Behandlung verweigern oder durch die eigene Verwandtschaft. „Dann erzählt die Familie, oh, er oder sie war krank und ist ganz plötzlich gestorben. Was nicht stimmt.“
Vergewaltigten Frauen eine Stimme geben
Die Fotografie ist ihr Mittel, um auf die Unterdrückung von Frauen und Homosexuellen im Sudan aufmerksam und die Folgen für die Betroffenen sichtbar zu machen. Fotografiert hat Eythar Gubara schon immer gerne. 2013 schenkten ihre Eltern – die sie bis heute als Künstlerin und in ihren Lebensentscheidungen unterstützen, wo immer es geht – ihr ihre erste professionelle Kamera, sie schrieb sich für eine Reihe von Fotokursen am Goethe-Institut in Khartum ein, beschäftigte sich mit der Geschichte und den Stilrichtungen der Fotografie, bildete sich selbst mit Hilfe von YouTube weiter und entwickelte so ihren sehr eigenen Stil.
„2016 habe ich beschlossen, dass ich den vielen Frauen im Sudan eine Stimme geben möchte, die in der Ehe vergewaltigt werden. Ich kenne eine Menge von ihnen.“ So entstand ihr Foto „Standing Like a Ghost, Watching My Dreams Go Away“: eine Frau, in einen weißen Schleier gehüllt, die aus dem Fenster in die Nacht blickt, auf dem zerwühlten Bett vor ihr sind ein Paar nackte Männerbeine zu sehen.
„Künstlerin ist man, wenn man etwas bewirken will“
Seitdem versteht sich Eythar Gubara als Fotokünstlerin. „Weil meine Art zu fotografieren sich geändert hat. Sogar der Grund, warum ich fotografiere, hat sich geändert: Künstlerin zu sein heißt, aktiv zu werden, um etwas zu bewirken. Als Künstlerin will ich gesellschaftlich etwas ändern, will ich Botschaften vermitteln, und das mit meiner ganz eigenen Perspektive.“ Dafür unterhält sie sich mit Menschen, hört sich ihre Geschichte an, entwickelt eine eigene Haltung dazu. „Und dann sehe ich die Geschichte als ein Bild vor mir.“
Seit sie in Deutschland lebt, kann sie ihre Fotos expliziter gestalten. Nacktaufnahmen hat Gubara schon im Sudan gemacht, aber nie die Gesichter der Modelle gezeigt, da diese sonst drastische Strafen zu befürchten hätten. „In Hamburg ist auch nicht alles einfach. Auf der Straße begegnet mir Rassismus, die Leute hier sind distanzierter“, sagt Eythar Gubara. „Aber trotzdem: Hier fühle ich mich frei.“ In den Sudan würde sie nur zurückgehen, wenn es eine Art zweite Revolution gäbe. „Wir haben das Bashir-Regime gestürzt. Das war eine enorme Leistung unserer Generation.“ Für die LGTBQ-Gemeinschaft hat sich aber noch zu wenig geändert.
Gängeviertel e.V. kooperiert als Gastorganisation mit der Martin Roth-Initiative. Das Gängeviertel bietet in der Hamburger Innenstadt einen Raum, in dem Neues entstehen kann durch Kunst, Kultur und Gespräche, in Ateliers, Wohnungen und sozialen Projekten.
Text: Marion Meyer-Radtke; Redaktion: MRI
Portraitfotos und Videoaufnahmen: Rolf Schulten; andere Fotos in Video/Audioslideshow: Eythar Gubara
Gestaltung Video/Audioslideshow: Johanna Barnbeck
Fotos in Galerie 1: Eythar Gubara
Fotos in Galerie 2: Rolf Schulten